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Autumnus (10) - ZaunköniG - 18.02.2014 Rudolf Borchardt 1877 - 1945 Autumnus I. Vor allen Göttern in des Jahres Reihn So stumm, so staunend lernten wir zu beten – Nun sind wir in den dritten Kreis getreten, Das Jahr ist reif, die Blätter wurden Wein, Und was nicht reifte, schläft in kahlen Beeten Des alten Sommers under Schleiern ein – Sie könnten von den blinden Fäden sein, Die eben deinem Schritt vorbei verwehten. Ein neu Gesicht hat sich zu uns gesellt. Aus finstren Schatten lacht es braun und bund, Dies ist Autumnus, der den Apfel hält. Rot wirbelt’s um ihn, gelber sinkt’s zu Grund, Mit starken Augen bindet er die Welt. Die Traube schwillt um seinen schweren Mund. II Durch seine Worte klang ein fernes Horn. Er sprach: „Steh auf, sei wie du warst, und sieh!" Ich regte mich, und hub mich auf mein Knie, Und schleppte mich heran durch Tau und Dorn. Sein Mund, der leise lachte, war nun streng, Nun süß; er horchte in die feuchte Weite; Dann, mit den Händen, griff er, ihm zur Seite, In einen Busch, und teilte das Gehäng, Und zeigte mir die Schlafende, die Brand Und Lindrung ist in mir, und Lohn und Strafe, Das Nun-für-nimmer, Untergang für Traum: Sie schlief wie Kinder schlafen; auf der Hand Lag ihr Gesicht: und über ihrem Schlafe Mit Beben stand der überrote Baum. III Mir schien, daß ich mit meiner Dame ging, Und Herbst ging vor uns her durch vielen Wald Geheimnisvoll verwandelter Gewalt, Denn fast demütig, wie ein Kämmerling Vor seinem Herren fährt und ist gering, Trug er den Stab vor uns. Dort sahn wir bald Drei Frauen fremd und schön und hochgestalt, Die sangen schwer und schwangen sich im Ring. Sie, die ich liebe, sprach, vor Seligkeit Erbleichend, „o singt mehr —" doch wie gefeit Verstummten sie, mit grauenvollen Mienen. Und Herbst hub an: „Sie flehten, euch zu dienen; Nun überschlägt sie Flamme, die ihr seid." Wir sprachen nicht, und neigten uns zu ihnen. IV. Der Liebende Die Bäume sinds nicht mehr, die Sonne nicht: Der wilde Schatten und die weiße Schwüle Vermündeten in eins: juwelene Kühle Verblieb vom Finstern, aber nur das Licht Von Brünsten; oder hieß' es ein Verzicht, Daß auch von meinem fiebernden Gewühle Nur blieb, was golden wird, wenn ich es fühle, Nur was noch strahlt, auch wenn der Mund es spricht? Und wenn er einhält, was herausgesollt, Und wenn der Stolz den Sommertand zu Füßen Des Ewigen Lebens schweigend fallen läßt, Indes mit letzten Kränzen uns begrüßen Und Purpurtoren Tale voller Gold — Sind wir nicht mehr, denn sie? Dies ist das Fest. V. Der Gott „Blick her auf mich, Musik gewordnes Leiden Und du, durchlauchtiges Feuer, Leidenschaft: Ich bin des Mais und Sommers Ziel, die Kraft Des Dämons über ihnen, wie Euch beiden. Weil ich Erfüllung bin, heiß ich das Scheiden: Küßt euch in mir, und wißts: in mir erschlafft Des Lebens Lust und lächelt geisterhaft: Ich bin allein, und will mich an mir weiden. Ich bin, wie Du, Rubin: wie Du, Smaragd. Untröstlichkeit und Trost des edelen Steines Wie Ihr: ein Licht gefeit vor Schwund und Flucht. Küßt Euch vor mir mit Mund auf Mund und fragt, Ob euer Antlitz heilig sei, wie meines Mit morschen Augen, und der Stirn voll Frucht." VI. Der Liebende Herbstangesicht, oh Schläfe, deren Strähnen Ich mir im Kuß um beide Hände binde — In Kuß, drin ich ertaube und erblinde, Heißt mich der Gott die Arme von mir dehnen, Was ich nun hab, als hätt ichs nicht, ersehnen: Ich soll, eh mir der Rausch des Todes schwinde, In deinen Mienen fragen, ob ich finde Wozu ich beten möge, wie zu jenen? Dein Auge spricht: „Gewahre mein Geheiß, So will ich in dir sein: und nichts ist schlimm, Ich heiß es schön, und heilige das Kranke." „Denn", sagt die Stirn, „der Tod, um den ich weiß, Hängt reif, wer will ihn trinken?" „Lippe, nimm, Nimm", sagt der Mund, „und stirb. Nimm, stirb und danke." VII. Der Gott „Demütige dich, Geschöpf: ich bin geheim. Mein Rätsel schwillt und schreitet durch dein Prahlen: Ich Gott will bersten aus verfaulten Schalen, Und ganz verderben: denn ich bin der Keim. Ich lauterer Saft zerrütte mich; ich Schleim Will ekel sein; aus offnen Eitermalen Abscheulich aufgehn; meine Lust bezahlen Mit Tod; mit Scham und Unflat Honigseim. Zittre vor mir. Wer bist du? Wer ist die? Euch hätt ich je geliebt? Und sah euch nie. Denkt wie ich wüst in meinen Fetzen kreise, Wenn ich euch wieder lächle obenhin, Und Scharlach schwenkend durch mein Schicksal reiße, Und lügnerisch, und eine Landschaft bin." VIII. Der Liebende Horch, Klageruf! Das Füllhorn der Verschwendung Singt Menschenjammer aus dem Schoß des Alls: Lebendiges Fleisch in ewigen Sündenfalls Abgründen wütet gegen seine Sendung: O Wildnis, lockt dich von mir die Verblendung? Muß aus Verdammungen dich abermals Der Geist zum Nachhall wecken seines Halls: „Weil ich das Scheiden bin, bin ich Vollendung?" Zu gottlos trotzest du, mein Gott zu sein: Wer warst du, bunter Dämon, vor uns Zwein, Was bist du, wenn nicht Götter aus dir handeln, — O Landschaft, Frucht in Trauer, Opferfest — Als Zeugung deines Tods, der wilde Rest, Den wir umarmt verwinden und verwandeln? IX. Die Geliebte „Er ist ein Gott; was unsereiner wähne, Drängt ihn nur Tiefrem zu. Er hadert nicht Noch weilt er; sieh sein sterbeklar Gesicht Zweideutig lächeln mit der einen Träne, Indes in Traubenhaufen seine Mähne Zerschaukelnd über ihm zusammenbricht; — Was will die Hand, sie sucht? Das Auge spricht? Er hebt die Beere gegen meine Zähne Und sinkt. — Da nimm mit hin, — Die letzte seis, In der wir uns von Herz zu Herzen schlürfen, Der Untergang, drin wie die Seinen sind, Sein wie dies Blatt, das wir auf sein Geheiß In der verschmolzenen Miene spüren dürfen, Und halten, denn es geht kein Wind." X. Urlaub Gib Raum dem Reisefertigen, leichtes Zelt Des Spätjahrs, goldne Masten, feuchte Ranken: Er muß von hinnen, und wie soll er danken ? Solang in deinen Fällen Erde fällt, Solang dein wilder Ohrberg nachts zur Welt Hinblickt, wo Hamelns hundert Lichter wanken, Solang der Freund bei den nicht allzu Kranken Die Freundin fiebernd sucht, und bebend hält, Solang sei Hauch von Ihrem Mund und Blond Verfärbt in deine Herbste, schöner Wald, O Park und Haus, o Purpur von Pyrmont, Solang im Adel jeder Birke schwanke Das weiße Wunder, falte sich die Schlanke Aus jedem Rauch, und lebe, die Gestalt! . |