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Der Gießbach
#1
I.

Der Gießbach donnert durch den Felsenspalt,
Sprüht weitum Silberstaub auf Moos und Bäume;
Sein frischer Hauch weht Kühlung durch die Räume,
Die Luft erbebt von seiner Sturmgewalt.

Von Fels zu Felsen springt er ohne Halt,
Als droht’ ihm jäh Verderben, wenn er säume –
Derweil tief unten aus dem Flutgeschäume
Ein dumpf geheimnisvolles Murmeln schallt

Wie eine Stimme Gottes aus der Tiefe,
Die ihn herab von seinen Höhen riefe –
Und im krystallnen kleid voll Glanz und Schimmer

Stürzt er in wilder Brauselust hernieder;
Doch unerschöpflich rauscht er oben wieder,
Ein andrer stets und doch derselbe immer!
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#2
II.

Gern flücht’ ich mich in deine Schattenkühle
Und höre dein melodisch Rauschen, sehe
Dein Flutgewog’, vergesse Leid und Wehe,
Als ob es deine Welle von mir spüle.

Wie weckst du mir so heilige Gefühle,
Daß ich in stummer Andacht vor dir stehe,
als ob ein Hauch des Ewigen mich umwehe,
Und ich mich ganz wie neugeboren fühle.

Ahnung durchschauert mich in deiner Nähe,
wie wenn ich in der lichtgewob’nen Hülle
Den Urquell aller Dinge vor mir sähe:

Das All durchflutend, zeugend und ernährend,
Geheimnißvoll, in unerschöpfter Fülle
Sich immer neu aus eignem Schoos gebärend.
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#3
III.

Gedanken brüten auch im Bergeshirne
Und reden aus des Gießbachs Wellenmunde;
Es zuckt ein Herz im starren Felsengrunde,
Von seiner Glut erglüht die eisige Stirne.

Der jetzt sein Haupt erhebt in die Gestirne,
Der Berg schlief einst im tiefsten Meeresschlunde;
Er stieg ans Licht – doch kommen wird die Stunde
Wo wieder in den Abgrund stürzt die Firne.

Da wird ein Welterschüttern sein, ein Stürmen,
Wie Schnee wird dieser Felsen Erz zerschmelzen,
Klein wird das Große, groß das Kleine werden.

Das Meer wird seine flut zu Bergen thürmen,
Die Berge werden sich zur Tiefe wälzen
Und wird ein neues Gottesreich auf Erden.
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#4
IV.

Wie mancher wandrer hat hier ausgeruht
Von deines Odems frischem Hauch erquickt,
Wie manches Auge dankbar aufgeblickt
Zu deinem Schneegeschäum in Mittagsglut –

Wie du vom Berge springst voll Uebermut,
Umwallt von Silberschleiern reich gestickt;
Und manches würzige Alpenblümlein nickt
Dir zu und netzt sein Haupt in deiner Flut.

Und mehr als Blumen hier am Ufer stehen
Sahst du Geschlechter kommen und vergehen
Und spültest weg die Spuren ihrer Füße

Derweil du frisch in Jugendfülle brausend
Fortrauschest von Jahrtausend zu Jahrtausend
Und bringst dem fernen Meere Bergesgrüße.
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#5
V.

Aus dunkler Scholle springt die klare Quelle,
Hoch über Felsenmauern tiefgeborsten,
Wo in verborgnen Klüften Adler horsten,
Dem Sturz der Wasser gleich an Flugesschnelle.

Genährt an Himmelsbrust tränkt ihre Welle
Die Heerden auf der Alm, dasw Wild in Forsten;
Birgt sich im Dickicht unter dem verworr’sten
Gesträuch, wie bangend vor der Tageshelle.

Dann plötzlich aus dem kühlen Waldesdunkel
Schießt sie ans Licht mit schäumendem Gefunkel
Und rauscht dem Thale Alpengruß entgegen.

Den Wandrer labt sie, weckt ihm Hochgefühle,
Als Bach beim Dorf treibt sie die schattige Mühle,
Und wo sie fließt, blüht Leben, Lust und Segen.
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