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Die zehn Sonette für Franziskus (10)
#1
Die zehn Sonette für Franziskus

Das erste Sonett

Ich sehe einen schmalen Purpurstreifen
Hinrieseln über meines Thrones Stufen,
Und während rings im Saal sie »Vivat« rufen,
Muß ich verstohlen knien und danach greifen.

Da muß ich grüßen, was die Brüder schufen,
Und weiß die Saat der schweren Stunden reifen
Und sehe sie die Schlachten-Sicheln schleifen
Und sehe einen Tanz von Silberhufen …

Doch Du stehst neben mir mit wehem Lächeln
Und weisest mir die Wunden deiner Hände
Und in der weißen Stirn die Dornenmale.

Indeß die Pagen trotzig Kühle fächeln,
Und Weihrauch duftet um die Feuerbrände,
Und aller Jubel lauter singt im Saale.

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Das zweite Sonett


Daß eine Welt uns von den Brüdern trennt,
Und müssen dennoch immer »Brüder« sagen,
Und daß wir alle ihre Leiden tragen,
Und all ihr Sehnen uns im Herzen brennt;

Und alle ihre ungestillten Fragen,
Und was ihr Sinn mit Schrecken nur erkennt,
Daß alles dieses unser Geist benennt,
Und ihre Wunden noch uns Wunden schlagen:

Das trägt die Schuld, daß wir nun stets gefangen
Oft Frieden schließen, wann wir kämpfen müßten,
Und sind verwirrt und zag und aufgelöst

Und haben vor dem Morden stets ein Bangen,
Und ist uns oft wie Schwachen, Mattgeküßten,
Und schämen uns, als ständen wir entblößt.
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Das dritte Sonett


Sie haben immer Stein auf Stein gelegt,
Und keiner hat ein Lied dabei gesungen.
Sie haben schweigend mit dem Raum gerungen,
Und ihre Mienen blieben unbewegt.

So haben sie zum Himmel sich geschwungen,
Kein Leid und keine Lust hat sie erregt -
Und haben still den Meißel weggelegt
Und sprachen wie im Glück: »Es ist gelungen!«

Doch Einer kam, der trug in seiner Hand
Die goldne Kugel und die Blütenkränze
Und alles, was die Kinder sich erbaten,

Und schwang die Fahne übers ganze Land
Und führte ihre freien Freudentänze. -
Sie aber schritten stumm zu neuen Taten.

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Das vierte Sonett


Wir tasten uns verschüchtert hin gleich Blinden,
Die in sich doch des Lichtes Fülle haben,
Um unsre Stirnen flattern scheue Raben
Und krächzen Lieder mit den rauhen Winden.

Wir hören viele Schritte um uns traben
Und sorgen, ob wir je den Garten finden,
Wo uns der Friede lächelt unter Linden.
Doch plötzlich nahen feierliche Knaben,

Und führen schweigend uns durch tiefe Gänge
Zu einem Brunnen, drin das Silber rinnt,
Und schwinden stumm und trauernd, wie sie kamen.

Da schmecken wir verschmachtende Gesänge,
Und jeder steht in schwerstem Schmerz und sinnt
Und prägt in sich der letzten Dinge Namen ...

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Das fünfte Sonett


Die Pfauen schreien von den Höhen immer,
Und gelb und drohend stürzt der Fluß hinab,
Und wie ein dumpfes, schwer verhülltes Grab
Ist plötzlich unser allzu enges Zimmer.

Und längst vergessen ist der Wanderstab,
Und niemand kommt mit einer Lampe Schimmer,
Und immer ist dicht neben uns Gewimmer
Wie von Gebärenden ... O graues Grab!

O graues Grab, das sind so deine Stunden,
Da wir enttäuscht und voller Ängsten sind,
Und jeder Sonnenschein ist ganz entschwunden.

Und fühlen uns geknechtet und gebunden,
Und wird zur Geißel Regen uns und Wind,
Und Pfauenschrei und Alles schlägt uns Wunden!

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Das sechste Sonett


Zu Zeiten gehn wir aus dem Kreis der Strengen,
Der bleichen Selbstzerwühler und Asketen
Und treten unter lärmende Proleten,
Die lauter sind und sich ins Volle mengen,

Und wir verlassen jene, die da beten
Zum Gott in ihrer Brust und sind im Engen.
Und gehn zu denen, welche morden, sengen
Und alles Stille unter sich zertreten.

Und bleiben dann bei ihnen kurze Zeit,
In Nächten voll Verachtung, Scham und Trauer,
Und sind totwund und weh von ihren Taten

Und so beschmutzt von ihrem Pöbelstreit -
Und kehren wieder hinter unsre Mauer
Voll Reue, Allein fremd und wie verraten ...

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Das siebente Sonett


In meinen Händen liegt das nackte Schwert,
Mit dem ich schlage und geschlagen werde,
Denn nirgends ist ein Ding auf dieser Erde,
Das nicht an sich den eignen Sold erfährt.

Und einstens bin ich wie die junge Herde,
Die in der Nacht der Knecht des Herren schert
Und wenn der Tod des Zitternden begehrt,
Bleibt nur des Sterbens ängstliche Gebärde:

Das nackte Schwert stumm an die Brust gepreßt,
Und fühle, wie sich jäh das Auge schließt,
Da zur Erfüllung kommt das große Morden.

Und halte noch ein letztes Leuchten fest,
Das über meinen Stahl sich scheu ergießt -
Und plötzlich ist mir neues Land geworden ...

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Das achte Sonett


So fahren wir in ärmlich engem Kahne
Verstoßene und ausgesetzte Jünger,
Des Herren Ring erglühend uns am Finger,
Ich mit dem Buch und Du mit seiner Fahne.

Und fühlen uns als Herrscher und Bezwinger,
Als Fürsten in Kapuze und Sutane;
Doch ist ein Ziel gesetzt dem flüchtigen Wahne,
Das unser Stolz gering macht und geringer:

Dann möchten allzugern wir sicher landen
In stillem Hafen, wo die Tauben nisten
Und Sonne spiegelt auf verklärten Zinnen,

Und müssen bleiben in den bittren Banden
Und wie Verstoßene das Dasein fristen,
Die nie sich ihres Sehnens Preis gewinnen.

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Das neunte Sonett


Warum wir stets das Heimatliche schmälen
Und gehen mit der Miene der Verächter
Und sind des eignen Glückes niemals Wächter
Und immer uns mit schwerem Grame quälen,

Und liegt in uns unheimliches Gelächter:
Warum wir so verdammtes Los erwählen,
Warum? ... Was frommt ein stammelndes Erzählen
Von Schütz und Opfer, Dulder oder Schlächter!

Wer fühlt, wie uns die eigne Sichel trifft,
Wen drückt die Last des selbstgewählten Zwanges,
Da unheilvoll der wehe Stolz sich rächt!

Wer trinkt, wie wir, des eignen Unmuts Gift,
Wem wird zur Qual die Mühe seines Ganges,
Wer ist, den seine Macht und Stärke schwächt!

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Das zehnte Sonett


Und immer haben wir das Wort »vielleicht ...«,
Damit wir selber tröstlich uns belügen,
Mit dem wir leidlich unsern Haß betrügen
Und unsre Liebe, die entmutigt schleicht.

Dies Ungewisse liegt auf unsren Zügen
Als Schatten, welcher nie der Sonne weicht,
In dem Enttäuschung und Genuß verbleicht
Und jedes Leid und lockende Vergnügen.

Und immer sind wir seltsam fremd und krank
Und spielen lächelnd, schlaff mit den Geschicken
Und sitzen wie Entseelte, starr und kühl,

Als welchen niemals eine Tat gelang,
Wie tote Götter mit fern fernen Blicken
Und dem »vielleicht ...« im fröstelnden Gefühl.


.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck.
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